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Alles bio - logisch?! - Interview mit dem Pflanzenforscher David Spencer

Bereits Anfang 2021 haben wir mit dem Pflanzenforscher, Science-Slammer und Podcaster David Spencer über Pflanzen seine Forschungsarbeit gesprochen. Am 1. April 2022 wurde sein erstes Buch „Alles bio - logisch?!“ veröffentlicht. Darin beschreibt David wie Hightech-Wissen aus der Forschung und Ökolandbau zu einer grünen Landwirtschaft und klimafreundlichen Ernährung beitragen. Dass Technologie und die Liebe zum Ursprünglichen sich nicht ausschließen, darüber haben wir mit ihm gesprochen.

Worum geht es in deinem Buch?

Wir alle sind von Pflanzenprodukten umgeben. Nicht nur in Form von Gemüse und Obst begegnen wir ihnen, sondern auch in der Kleidung, in Möbeln oder im Biodiesel in unseren Tanks. Als Pflanzenforscher möchte ich mit diesem Buch den Leserinnen und Lesern meine Faszination für die Welt der Pflanzen näherbringen. Und dabei geht es nicht nur um Ernährung und Gartenidylle, sondern eben auch um knallharte Wissenschaft und nachhaltigen Konsum. Es reicht nicht aus, wenn wir „nur“ Tierprodukte drastisch reduzieren – wir müssen auch die aktuelle Version der Landwirtschaft überdenken. Aber es geht auch um spannende und lustige Fakten über Gewächse im Buch.

"Es reicht nicht aus, wenn wir „nur“ Tierprodukte drastisch reduzieren – wir müssen auch die aktuelle Version der Landwirtschaft überdenken." - David Spencer

Was ist das Spannende an Pflanzen? Was wissen die meisten von uns nicht über sie?

Pflanzen sind Meisterinnen der Anpassungen. Sie sitzen im Boden fest und sind den Naturgewalten sowie Fressfeinden vermeintlich schutzlos ausgeliefert. Aber wenn es darauf ankommt, können Pflanzen in ihren Blättern, Wurzeln und Früchten Chemikalien herstellen, die wir Menschen nur in großtechnischen Anlagen zu produzieren vermögen. Diese genetischen Superkräfte machen Pflanzen besonders widerstandsfähig und geben ihnen - ganz nebenbei - eine besondere Würze. Dass Chili scharf schmeckt, Zwiebeln uns zum Weinen bringen und Tabak uns beruhigen (oder vergiften!) kann, ist auf diese genetischen Fähigkeiten zurückzuführen.


Welche Landwirtschaft ist besser – die Ökologische oder die Konventionelle?

Das lässt sich, wie so oft in der Wissenschaft, nicht pauschal beantworten. Ökologische Landwirtschaft hat große Pluspunkte beim Tier- und Naturschutz, konventionelle Landwirtschaft schafft allerdings einen höheren Ertrag auf gleicher Fläche. Das ist etwas, was wir oft unterschätzen: Um dieselbe Menge Pflanzenprodukte im Ökolandbau herzustellen, bräuchten wir bis zu 30% mehr Land – und somit extensivere Flächen, mehr „Eindringen“ in natürliche Lebensräume. Der Vorteil im Naturschutz wird also durch die ineffektive Flächennutzung zunichte gemacht. Besser wäre es, eine neue ökologische Landwirtschaft zu definieren, die die besten Eigenschaften kombiniert: Altes Wissen und neue, technologische Lösungen zusammen für mehr Nachhaltigkeit auf dem Acker.

"Wir sollten eine neue ökologische Landwirtschaft definieren, die altes Wissen und neue, technologische Lösungen kombiniert - für mehr Nachhaltigkeit auf dem Acker." - David Spencer

Schließen sich Digitalisierung, technologischer Fortschritt und unser Bedürfnis nach Ursprünglichkeit und der Romantik der Landwirtschaft aus?

Wir können unser Bild einer „naturnahen“, „ursprünglichen“ Landwirtschaft allein schon aufgrund unserer bloßen Bevölkerungszahlen nicht weiter aufrecht erhalten. Es braucht eine effektive, möglichst umwelt- und klimaschonende Lebensmittelproduktion, die auch den Vorteil digitaler und biotechnologischer Lösungen anerkennt und nutzt. In anderen Bereichen wie der Mobilität oder Energieversorgung tun wir dies bereits – wieso in der Landnutzung noch nicht? Das romantisierende Bild von Landwirtschaft als Idyll passt so gar nicht zu der Realität: Harte Arbeit, geringes Einkommen und der ewige Kampf gegen den Preisverfall. Als Wissenschaftler plädiere ich daher für eine technikoffenere Einstellung zur Landwirtschaft, damit möglichst viele Menschen Zugang zu ausreichend gesunden Produkten bekommen und Biodiversität erhalten werden kann.

 
 

Wie sieht die Landwirtschaftliche Produktion im Jahr 2050 aus?

Im Jahr 2050 haben wir die schlimmste Ausführung der Klimakrise noch gerade so abgewendet und unseren Konsum sowie unsere Emissionen drastisch reduziert. Die Grenzen zwischen ökologischer und konventioneller Landwirtschaft sind verwaschen, alle setzen nun auf mehr Nachhaltigkeit. Dank digitaler Landwirtschaft sind die Äcker nicht länger an den größten Mähdrescher angepasst, sondern fügen sich mosaikartig in Diversitätszonen bzw. unauffällig ins Stadtbild ein. Automatisierte Erkennung von Pflanzenkrankheiten oder Unkrautdruck sorgen für minimal-invasive Behandlung der „Patientin Pflanze“ und einer enormen Reduktion von Pflanzenschutzmitteln. Auf den ringförmigen Vertikalfarmen in der Stadt brummt und summt es nur so, da die Insektenvielfalt sich dank drastischer CO2-Besteuerung in den letzten Jahren erholen konnte. Als Wissenschaftler muss und will ich diesen Optimismus an den Tag legen!


In unserem Trendreport Ernährung 2022 steht auf Platz1 Klimafreundliche und Nachhaltige Ernährung. Was können wir jetzt tun, um nachhaltiger zu essen?

Wir leben in einer Industrienation und damit auch mit dem großen Privileg, dass wir über das gesamte Jahr hinweg Zugang zu einer vielfältigen Palette an Lebensmitteln haben. Tierprodukte reduzieren oder ganz von der Speisekarte streichen funktioniert gut, da wir z.B. mit Hülsenfrüchten und ähnlichem trotzdem unseren Proteinbedarf decken können. In anderen Regionen ist das nicht selbstverständlich, sodass die Rufe nach einem flächendeckenden Vegetarismus nicht angemessen und auch nicht umsetzbar sind. Hier können wir aber durch eine (hauptsächlich) pflanzenbasierte Ernährung die Ökobilanz unseres Einkaufswagens deutlich verbessern. Davon abgesehen können wir alle noch bewusster einkaufen wie zum Beispiel Wocheneinkäufe planen und weniger verschwenden, weniger hoch verarbeitete Produkte kaufen und auf zertifizierte Ware achten, auch beim heimischen Gemüse.


Wenn es nach dir ginge, wie sähe unsere Ernährung aus?

Wenn man einen Pflanzenforscher fragt, wie die tollste Ernährungsform aussähe…(lacht). Natürlich würden wir alle vor allem pflanzlich und frisch kochen, wir hätten nicht nur Spaß am kreativen Zubereiten, sondern hätten auch bei jedem Produkt ein Gefühl der echten Wertschätzung für die landwirtschaftliche Produktion. Statt leeren Kalorien, Salz und industriellem Zucker würden wir unsere Geschmacksrezeptoren wieder für die enorme Vielfalt der Pflanzeninhaltsstoffe schärfen und mutig experimentieren. Auch würden wir uns mehr von anderen Esskulturen inspirieren lassen – sowohl in der Zusammensetzung der Speisekarte - warum nicht mal Algen, Insekten oder Quallen, wenn wir doch auch verschimmelten Weichkäse essen? - als auch in den Methoden wie z.B. mehr fermentieren, die Kraft der Mikroorganismen für Geschmack und Haltbarkeit nutzen.


Warum sollten alle Wissenschaftler*innen Bücher schreiben?

Die Wissenschaftskommunikation gewinnt immer mehr an gesellschaftlicher Bedeutung, vor allem in den letzten Jahren. Durch Klimawandel, Pandemie und andere Ereignisse ist die Informationsflut zwar groß, aber oft auch verwirrend. Verständlich und unterhaltsam präsentierte Forschung (am besten direkt vom Schulalter an!) kann sehr hilfreich sein, damit Menschen sich eine differenzierte Übersicht über komplexe Sachverhalte verschaffen können. Und wer könnte das besser als die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst? Forschung sollte nicht hinter verschlossenen Türen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Stattdessen muss sie nahbar, faszinierend und partizipativ sein – erst so wird sie Teil der Gesellschaft. Bücher können da ein Zugang sein, aber genauso haben sich Formate wie Podcasts, Science Slams und Wissenschaftssendungen als positiv für den Dialog erwiesen.


Wer ist dein Role-Model? Wer hat große Veränderung im Ernährungsbereich vorangetrieben?

Meine Mutter zeigte mir schon früh, welche „Unkräuter“ aus dem Garten essbar sind (seitdem liebe ich Giersch, Gänseblümchen oder Löwenzahn im Salat!). Es ist noch so, so viel mehr zu erschmecken und erriechen, wenn wir die Biodiversität da draußen noch mehr ausschöpfen! Ein großer Revolutionär in der Pflanzenforschung war zudem Norman Borlaug, the Godfather of Plant Breeding, der mich mit seiner Vision einer gesunden Ernährung für alle Menschen bis heute antreibt. Pflanzenzucht bedeutet mehr Essen, mehr Essen bedeutet Frieden! Es ist herausfordernd, aber auch inspirierend, wie Wissenschaft und Gesellschaft beim Thema Ernährung zusammenarbeiten können.

 

David Spencer ist Biologe und promoviert an der RWTH Aachen über Krankheitsresistenzen in Kulturpflanzen. Als Science Slammer bringt er seinem Publikum die Themen der modernen Pflanzenforschung näher. Er ist Vorstandsmitglied der Umwelt-NGO "Öko-Progressives Netzwerk e.V." und sucht den Dialog mit der Öffentlichkeit u.a. über seinen "Podcast "Krautnah", der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Wer mehr von David zu seiner Forschung erfahren möchte, kann sich über LinkedIn mit ihm vernetzen.


Dieses Interview wurde geführt von Dr. Simone K. Frey, Gründerin NUTRITION HUB.


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