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Anti-entzündliche Ernährung und Prävention - Interview mit Dorothea Portius

Mit der richtigen Ernährung können die Heilkräfte des Körpers mobilisiert werden und Krankheiten wie Diabetes, Rheuma, Adipositas, Bluthochdruck und Hashimoto verbessert werden. Die Ernährungswissenschaftlerin Dorothea Portius hat zum Thema Diabetes und Ernährung geforscht. Sie lebte viele Jahre in der Schweiz und den USA, wo sie die unterschiedlichsten Ernährungsweisen tagtäglich beobachten konnte. Am 3. Mai 2022 wurde Dorotheas erstes Buch „Ernährung, die uns schützt“ veröffentlicht. Darin beschreibt sie ganz praktisch, welche Lebensmittel anti-entzündlich wirken und wie diese Krankheiten vorbeugen und sogar heilen. Wir haben mit ihr daüber gesprochen.

Dorothea Portius mit ihrem neuen Buch: Ernährung die uns schützt

Worum geht es in deinem neuen Buch?

Über 70% unserer heutigen Zivilisations-krankheiten sind ernährungs- bzw. lebensstil-bedingt. Die Ursachen sind vielschichtig, doch wenn dem Körper über Jahre die falschen „Treibstoffe“ und keine Bewegung gegeben werden, manifestieren sich gesundheitliche Probleme Schritt für Schritt. Es ist ein chronischer Prozess, der mit einer niedrigschwelligen Entzündung assoziiert ist. In meinem Buch versuche ich den Leser:innen zu vermitteln wie diese Krankheiten entstehen und was unter einer niedrigschwelligen Entzündung zu verstehen ist mit Fokus auf das viszerale Fett, also das Bauchfett und eine gestörte Darmflora als hauptsächliche Entzündungsherde.


Welche Rolle spielt die Ernährung dabei?

Die Ernährung nimmt einen wesentlichen Einfluss auf dieses Entzündungsgeschehen. Es gibt Nahrungsmittel, die das Entzündungsfeuer anheizen und andere, die es reduzieren bzw. stilllegen können. Das GlykLich-Ernährungsprinzip (GlykLich aus niedrigglykämisch und anti-entzündlich) ist keine Diät, sondern eine Ernährungsform, die sicherstellt, dass der Körper alle Nährstoffe erhält, die er benötigt. Eine wichtige Rolle spielen die komplexen Kohlenhydrate, gesunde Fette, hochwertiges Eiweiß und sekundäre Pflanzenstoffe. Spezifische Tipps gebe ich für bestimmte Erkrankungen. Zudem beinhaltet das Buch über 60 saisonale Rezepte, die individuell adaptiert werden können.


Was sind die Missverständnisse rund um das Thema entzündungs-fördernde Lebensmittel und Ernährung?

Es existieren viele Missverständnisse und es kursieren zu viele Mythen um das Thema Ernährung. Social Media Plattformen, Trendzeitschriften und auch die Lebensmittelindustrie leisten einen Beitrag, und erhöhen die Verwirrung bei den Verbrauchern. Dies merke ich immer wieder durch die Fragen meiner Patient:innen sowie durch Fragen aus meinem Familien- und Freundeskreis. Und viele Mythen oder neue Ernährungstrends erschweren den Supermarkeinkauf.


Was muss sich in den nächsten 5 Jahren ändern?

Definitiv muss mehr für die Ernährungsbildung getan werden. Dabei sollte nicht der Schwerpunkt liegen, wo unsere Lebensmittel herkommen und wie sie produziert werden. Wir müssen wesentlich mehr Wissen darüber vermitteln, was die Nährstoffe in unserem Körper machen und warum zu viel von bestimmten Nährstoffen krank macht. Die Verbindung von Ernährung und Gesundheit ist hier entscheidend. Und diese Bildung muss zeitig beginnen. Ich habe gerade zwei Projekte laufen zur Verbesserung der Ernährung in Kindertagesstätten. Das eine Projekt befasst sich mit der Analyse der ernährungsphysiologischen Qualität in der Mittagsverpflegung in Kitas, das andere ist ein Ernährungsworkshop „Die kleinen Ernährungsexperten“, wo wir den Kindern spielerisch die einzelnen Lebensmittelgruppen vermitteln. Auch hier legen wir den Fokus auf die Nährstoffe, die in den einzelnen Lebensmittelgruppen zu finden sind und welche Funktion sie im Körper haben.

 
 

Obwohl von Seiten der Regierung einiges unternommen wurde, um die Ernährungsbildung zu verbessern, die IST-Lage ist erschreckend. Bei unseren Kita- Ernährungsworkshops ist es spannend zu sehen, wie die Kinder aktiv daran teilhaben, neugierig sind und aufgeschlossenen neue Dinge zu probieren. Dank der Arbeit von Nutrition Hub wird lauter über dieses Thema diskutiert und kommuniziert. Doch wir Ernährungsexpert:innen benötigen auch die Politik und Industrie als weitere Akteure, um die Ernährungsbildung in den verschiedenen Lebenswelten voranzutreiben.


Wenn es nach dir ginge, wie sähe die Ernährung im Jahr 2050 aus?

Vor einigen Wochen hatte ich ein Interview mit einen Start-Up aus der Zukunftsforschung. Es ging um personalisierte Ernährung. Dank Activity-Trackern, Gesundheits-Apps sowie Mikrobiomanalysen, Gensequenzierungen und Stoffwechselanalysen ist die personalisierte Ernährung definitiv eines der Zukunftsthemen. Jeder Mensch ist ein Individuum und so auch dessen Stoffwechsel. Dabei hat jeder Körper seine eigenen Nährstoffbedürfnisse abhängig von Lebensart, Aktivitätsgrad, Gesundheitszustand, Alter und Mikrobiom. Das liegt sehr viel Potential. Ich gehe in meiner Praxis auf diese individuellen Bedürfnisse meiner Patient:innen ein Dabei ist für mich jedoch wichtig, die Patient:innen aufzuklären, wo er oder sie die wichtigen Nährstoffe herbekommt. Der Fokus liegt hier auf natürlichen Produkten, sprich Gemüse, Obst, Getreide und Hülsenfrüchten angereichert mit tierischen Produkten wie Eier, Käse, Naturjoghurt/ Quark sowie unverarbeiteter Fisch und Fleisch. Der Verzicht auf tierische Produkte ist aus meiner Sicht nicht notwendig, wenn hierbei mehr auf die Qualität als auf die Quantität geachtet wird. Dies bedeutet so viel, wie die Verwendung von Produkten aus Freilandhaltung und/ oder Biohaltung und der Verzicht auf Wurstwaren sowie jegliche andere „hoch“-verarbeitete tierische Produkte. In der wissenschaftlichen Literatur wird vom „regenerative agriculture“ gesprochen.


Für die Zukunft wünscheich mir, dass unsere Ernährung nachhaltiger ist, weg von Massenproduktion. Und ich wünsche mir, dass wir Lebensmitteln ein Stücke „Ehre“ zuweisen und das Essen genießen. Wir leben in einer Wegwerf- und „on the go“- Essensgesellschaft, was definitiv einen entscheidenden Beitrag für die Entstehung unserer heutigen Erkrankungen leistet. Ehre vor dem Produkt!


Welche Rolle spielen Ernährungsexpert:innen dabei?

Eine Große! Derzeit ist der Einfluss von Influencer:innen oder selbsternannten Ernährungsberater:innen groß. Deren "Ernährungsempfehlungen" finden großes Interesse. Das führt zu Fehlinformationen und Missverständnissen. Ernährungsexpert:innen müssen mehr Aufklärungsarbeit leisten, Wissen vermitteln. Ein großes Problem derzeit in Deutschland ist, dass der Begriff Ernährungsberat:in bzw. -therapeut:in keine geschützte Bezeichnung ist. Ebenso ist die Ernährung KEIN Heilmittel für die Behandlung von Krankheiten und erschwert dadurch den Zugang der Patient:innen zu Ernährungsberater:innen bzw. -therapeut:innen. Es ist für mich unverständlich, warum hier auf Gesetzesebene noch nichts getan wurde: 70% unserer heutigen Erkrankungen sind ja ernährungs- bzw. lebensstilbedingt.


Wer ist dein Role-Model? Wer hat große Veränderung im Ernährungsbereich vorangetrieben?

Hippokrates Zitate haben mich definitiv inspiriert - das bekannteste „Eure Nahrungsmittel sollen eure Medizin und eure Medizin eure Nahrungsmittel sein“. Ich finde, dass seine Worte heute wieder einen wichtigen Stellenwert einnehmen mit Hinblick auf unsere moderne Ernährungs- und Krankheitssituation. In meiner Zeit in Kalifornien habe ich eine Weiterbildung zum Functional Nutrition Coach gemacht und dabei den ganzheitlichen Ansatz der Ernährungstherapie und -medizin zu verstehen gelernt. Dabei konnte ich von vielen bekannten Functional Doctors lernen. Hier hat mich Dr. Mark Hyman, der Erfinder der Pegan Diet sehr beeindruckt, vor allem seine Ansichten zur Krankheitsentstehung und seine therapeutische Herangehensweise. Seine Bücher und Podcasts sind klasse. Als ich vor zwei Jahren wieder nach Deutschland kam, hörte ich von den Ernährungs-Docs. Auch hier hat der ganzheitliche Ansatz Fuß gefasst hat. Dr. Anne Fleck, Dr. Jörn Klasen und Dr. Matthias Riedl haben einen wesentlichen Beitrag zu dem wachsenden Bewusstsein eines ganzheitlichen medizinischen Ansatzes zur Behandlung unserer Zivilisationskrankheiten geleistet. Ich hoffe, dass wir in Zukunft diesen Ansatz weiter ausbauen können und dass Hippokrates Worte zum Tragen kommen.

 

Prof. Dr. Dorothea Portius ist Professorin für Ernährungstherapie und -beratung an der SRH Hochschule für Gesundheit sowie ganzheitliche Ernährungstherapeutin und Gesundheitscoach. Sie ist überzeugt, dass eine vollwertige natürliche Ernährung Zivilisationskrankheiten nicht nur vorbeugen, sondern auch heilen kann. Dieses Wissen weiterzugeben, ist ihr ein großes Anliegen. Wer mehr über Dorothea und ihre Arbeit erfahren möchte, kann sich mit ihr auf LinkedIn, Instagram oder über ihre Website in Verbindung setzen


Dieses Interview wurde geführt von Dr. Simone K. Frey, Gründerin NUTRITION HUB.



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