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Alternative Proteinquellen im Jahr 2030: Interview über BALPro e.V. mit Fabio Ziemssen

Fabio Ziemssen organisiert als Berater und Branchenexperte deutschlandweit Treffen für InnovatorInnen und Startups aus dem Lebensmittelumfeld und setzt sich für eine Vernetzung der internationalen FoodTech Szene ein. Seit 2019 ist er im Vorstand des „Bundesverbandes für Alternative Proteine- BALPro e.V.“. Wer sich in der Food-Startup-Welt bewegt, wird Fabio bereits kennen. Im Interview hat Fabio uns erzählt wie er die Zukunft der alternativen Proteinquellen sieht, wie diese den globalen und deutschen Lebensmittelsektor in Zukunft verändern werden und was es mit dem Verband BALPro e.V. auf sich hat.


Fabio Ziemssen, Food Innovator und Vorstand BALPRO

BALPRO, der Verband für alternative Proteinquellen wurde Anfang 2019 Leben ins Leben gerufen. Wie kam es dazu?

Es kam dazu, weil wir in erster Linie der Meinung waren, dass es in Deutschland ein Netzwerk und eine Gemeinschaft geben muss, die sich über das ganze Thema der alternativen Proteinquellen nicht nur informieren, sondern auch austauschen kann, um vor allem für alle Beteiligten einen Mehrwert zu schaffen. Alternative Proteinquellen stellen ein sehr diverses Feld dar, da braucht man nicht nur die richtige Vernetzung der verschiedenen Disziplinen, sondern auch Einblick in die verschiedenen Perspektiven. Die Wertschöpfung kann hier nicht mehr rein horizontal vom Acker bis zum Tellerrand betrachtet werden. Es entstehen Kreisläufe und zahlreiche neue Akteure gestalten diese Branche mit.


Wie kann man sich die Marktentwicklung in diesem Themenbereich vorstellen? Gibt es spannende Zahlen?

Grundsätzlich ist es so, dass sich der Markt in letzter Zeit enorm entwickelt hat. Man sieht das nicht nur an den Investitionen, die getätigt werden, die zunehmende Resonanz der Kundenseite bestätigt es auch nochmal. Mitglieder aus der konventionellen Proteinverarbeitung berichten uns, dass sie teilweise mehr als 50 % des Umsatzes mit alternativen Proteinquellen machen. Das sind Zahlen, wo man einfach merkt, dass es kein Hype ist, sondern ein Trend, der sich manifestiert und mehr und mehr in die Masse geht.


Was ist die Definition von alternativen Proteinen – was fällt bei BALPRO darunter?

Für uns sind Alternative Proteinquellen im Grunde die Quellen, die Alternativen zu den klassischen und konventionellen Proteinquellen aus der tierischen Produktion sind. Ausgenommen wird bei uns das ganze Thema entofood und entofeed, weil wir glauben, dass das ein Thema ist, welches sich stark auf den Gedanken der Kreislaufwirtschaft und der maximalen Biomasse Ausnutzung stützt. Wir haben bei uns das Ganze in 3 Bereiche aufgeteilt: Als erstes die Cellular Agriculture, dazu zählt die klassische Kultivierung von Zellen und auch der Bereich der Fermentation. Dann gibt es das Thema Pflanzenbasiert, wozu auch Pilze und Algen zählen und dann der Bereich Entofood und Entofeed.


Wer ist Mitglied im Verband und wie ist der Verband organisiert?

Wir sind jetzt 100 Mitglieder im Verband. Dazu gehören StartUps, Unternehmen, Initiativen und Einzelpersonen - von Konzernen wie Nestlé oder Evonik bis hin zu StartUps wie vly oder Completeorganics. Wir versuchen die komplette Bandbreite des Lebensmittelsystems in unserem Verband zu vertreten. Der Verband hat einen Vorstand, das sind Sebastian Biedermann und ich. Unsere Community-Managerin Michelle König ist für die Organisation und Administration verantwortlich. Zusätzlich haben wir einen wissenschaftlichen Beirat, der sich aus renommierten Experten der Branche zusammensetzt. Wir sind noch nicht in die politische Interessenvertretung gegangen, da wir uns in erster Linie auf den Aufbau der Community konzentriert haben. Das erreichen wir durch unseren monatlichen Stammtisch, quasi ein virtueller Roundtable, zudem wir alle Mitglieder einladen und verschieden Themen diskutieren. Dazu haben wir natürlich noch viele Kooperationen mit Eventpartnern und Messen, wo wir für die Verbandsmitglieder Treffen organisieren. Die größte Funktion, die der Verband hat, ist wirklich das Netzwerk, durch welches wir immer wieder Verlinkungen herstellen können. Die Interessenvertretung wird aber für das kommende Jahr fokussiert.


Welche Themen stehen im Moment im Vordergrund? Gibt es irgendwelche Projekte, die spannend sind oder umgesetzt wurden?

Was für uns wichtig war und auch im Vordergrund steht, dass sich der ganze Verband konstituiert. Es soll kein Verband sein, wo sich die Mitglieder einfach das Logo auf der Website platzieren. Wir möchten die Möglichkeit regelmäßigen Austausch geben, an welchem sich die Mitglieder orientieren können und vor allem in Interaktion treten. Wir sind auch dabei Arbeitsgruppen aufzusetzen. Wir haben zum Beispiel die Gruppe der Speiseinsekten, wo es hauptsächlich um den Bereich entofood geht. Jetzt gerade haben wir auch eine Umfrage zur Bundestagswahl an die verschieden Parteien geschickt, wo wir wissen wollen, wie die sich im Zuge der Proteinwende äußern. Nächstes Ziel wird sein mit großen Messen wie der IFFA oder der Anuga Food Tec zu kooperieren, um die kommunikative Arbeit aufrecht zu erhalten.


Wo sieht BALPRO Forschungsbedarf bei alternativen Proteinen? Oder was sind im Moment die größten Barrieren der Marktentwicklung?

Ganz klar im Bereich der Cellular Agriculture. Das ist das Themenfeld, wo am meisten getan werden muss, wo wir noch Bedarf in der Forschung und Entwicklung sehen. Entsprechende Fördermöglichkeiten für Unternehmen und Startups in diesem Bereich sollten ausgebaut werden. Denn Celullar Agriculture ist das Segment, welches in Zukunft nicht nur stark an Relevanz gewinnen wird, sondern auch für viele etablierte Unternehmen und neue Beteiligte immenses Potenzial birgt. Die Kunst wird darin liegen für alle Beteiligten vom Landwirt bis hin zum Verarbeiter, Szenarien zu skizzieren, die eine gemeinsame Vision ermöglichen. Und hier sehen wir tatsächlich, dass es in Deutschland noch sehr viel Nachholbedarf gibt und viel Luft nach oben ist.


Wie siehst du die Zukunft? Welche Rolle werden Alternative Proteine im Jahr 2030 in Deutschland spielen?

Also ich sage ganz klar, dass wir in Deutschland von einer Ausdifferenzierung der Alternativen Proteinquellen sprechen können. Das heißt, es wird im Retail sehr, sehr viele verschiedene Zutaten geben, die teilweise regional angebaut oder international gekauft werden. Bio wird den Marktanteil gegenüber konventionell angebauten Rohstoffen massiv ausgebaut haben. Wir sehen das jetzt schon in der Kategorie der alternativen Molkereiprodukte: Da haben wir Mandel, Cashew, Hafer, Erbse, Soja oder auch Hanf – sehr, sehr viele verschiedene Ausprägungen, wenn wir auch noch Mixturen wie z.B. Hafer/Mandel oder Varianten wie z.B. Barista-Versionen berücksichtigen. Dies wird sich in anderen Kategorien ähnlich verhalten. Das heißt, da gibt es nicht nur eine Differenzierung der verschiedenen Zutaten und auch Proteinquellen, sondern auch den Protein Split. Wir werden auf den Fleischkonsum nicht komplett verzichten, es wird aber eine ganz andere Aufteilung geben und pflanzenbasiert wird eines der Eigenschaften sein, die massiv zunehmen werden. Auch der Bereich der Cellular Agriculture oder der Fermentation wird seinen entsprechenden Anteil haben. Wenn ich es für 2030 für Deutschland prozentual aufteilen müsste, dann würde ich sagen, haben wir sehr, sehr großen Anteil bei dem Thema Milch. Die Milchalternativen werden ca. 20 - 25 % von den gesamten alternativen Quellen ausmachen. Im Fleischbereich hängt es natürlich auch ganz stark von den technologischen Entwicklungen, die auch im Bereich Cultivated Meat sind ab. Die aktuellen Studien von BCG oder Blue Horizon haben natürlich immer eine globale Perspektive, aber wenn man auch das ganze Thema Regulatory Affairs berücksichtigt und die Kultur Europas würde ich den Anteil von Cultivated Meat in Europa bei ca. 4-5% sehen.


Wie sieht es im Ausland aus? Wie schnell verbreitet sich das Thema: Alternative Proteinquellen?

Da wird es in manchen Märkten schneller und in manchen langsamer gehen. Im Großen und Ganzen hängt das natürlich von den Märkten ab, aber ich würde ich sagen, dass alle Bereiche der Cellular Agriculture im Jahr 2030 ca. 5–10 % des gesamten Ernährungssystems ausmachen.


Was wünschst du dir, welche Rolle dieses Thema in Deutschland einnimmt?

Ich wünsche mir, dass wir wesentlich offener für technologischen Fortschritt, Zusammenarbeit und die Notwendigkeit der Transformation unseres Foodsystems sind und dass wir die Chancen in innovativen Technologien sehen, wirklich etwas zu verändern. Ich spreche hauptsächlich aus deutscher Perspektive, weil wir ein Bundesverband sind, aber diese Veränderung kann natürlich nur funktionieren, wenn wir das im paneuropäischen Kontext betrachten.

 

Wer mehr über Fabio und seine Arbeit erfahren möchte, findet ihn auf LinkedIn und mehr zu BALPro erfahrt ihr hier. Dieses Interview wurde geführt von Dr. Simone K. Frey, Gründerin NUTRITION HUB.


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