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Personalisierte Ernährung im EU-Gesetzeslabyrinth - Warum sich für die Zukunft etwas ändern muss

Die Ernährungswissenschaft beweist: der Einfluss unserer Ernährung auf unser Leben und unsere Gesundheit ist enorm. Zu viel genau wie zu wenig Essen, aber auch einfach eine falsche Auswahl an Lebensmitteln kann uns auf lange Sicht schaden. Allerdings können wir auch mit der richtigen Ernährung erst unser volles Potential entfalten und ein aktives Leben führen. Wichtig ist aber: „die richtige Ernährung“ sieht für jeden anders aus. Wir sind genetisch verschieden, haben verschiedene Vorlieben und Routinen. Erst ein personalisierter Ansatz zur optimalen Ernährung für jeden einzelnen kann uns helfen, unsere persönlichen Ziele zu erreichen und unsere Gesundheit in die eigene Hand zu nehmen.

gesunde Suppe, schön angerichtet
Photo: Borzoo Moazami von Unsplash

Personalisierte Ernährung bedeutet, die Ernährung mit den individuellen genetischen, phänotypischen oder demografischen Merkmalen in Einklang zu bringen. In den letzten Jahren ist dieses Konzept immer bekannter und beliebter geworden und wird mittlerweile von vielen Ernährungsexpert*innen auch angewandt. Allerdings ist bis heute noch kein einheitlicher rechtlicher Rahmen für personalisierte Ernährung etabliert werden konnte. Stattdessen müssen Gründer*innen und Ernährungsexpert*innen verschiedene Richtlinien, Verordnungen und Leitfäden zurate ziehen, um sicher zu gehen, dass ihre Angebote den rechtlichen Vorgaben entsprechen. Dafür legt die Europäische Union zwar die Grundlage für nationale Gesetzgebung, aber in jedem Mitgliedsstaat kann es zusätzliche Bestimmungen oder Abweichungen geben. Dementsprechend muss jedes Angebot zu personalisierter Ernährung nochmals in jedem Land einzeln bewertet werden. Dabei sind diese vier Bereiche besonders zu beachten:


1. Datenschutz

2. Dienstleistungen

3. Vermarktung

4. Verkauf von personalisierten Lebensmitteln und Getränken.


Personalisierung braucht Daten, Daten brauchen Schutz

Grundlage jeder Art von Personalisierung sind Daten. Um die Sicherheit dieser sensiblen Informationen zu gewährleisten, gelten EU-Datenschutzbestimmungen überall dort, wo eine Person anhand der Daten identifiziert werden kann. Beim Sammeln, Verarbeiten und Speichern von Informationen müssen dementsprechend angemessene Datenschutzmaßnahmen getroffen werden.


Nicht nur die Daten selbst, sondern auch alle Arten von Hilfsmitteln bei der Erfassung und Verarbeitung von Daten sind gesetzlich reguliert. Das können etwa die Wattestäbchen vom Wangenabstrich sein, aber genauso sind Apps und Datenverarbeitungsprogramme davon betroffen. Oft ist es schwierig zu entscheiden, ob diese Hilfsmittel als medizinische Geräte gelten oder nicht. Diese Einordnung wiederum bestimmt die geltenden Gesetze und Anforderungen. Eine neue EU-Richtlinie, die im Mai 2021 in Kraft tritt, kann hoffentlich helfen, diese Fragen in Zukunft einfacher beantworten zu können. Bis dahin müssen die Anbieter*innen von personalisierten Ernährungskonzepten mehrere Leitlinien der Europäischen Kommission nach den relevanten Bestimmungen durchsuchen, um auf der sicheren Seite zu sein. Außerdem können in einigen Mitgliedstaaten noch zusätzliche, strengere Maßnahmen dazukommen. In Deutschland beispielsweise schreibt das Gendiagnostikgesetz vor, dass Gentests aus medizinischen Gründen nur von Fachärzt*innen und nach Rücksprache mit den Patient*innen durchgeführt werden dürfen.


Wer darf über personalisierte Ernährungsempfehlungen geben?

Ernährungsberatung Termin
Photo: Getty Images

Wenn die Tests und Analysen durchgeführt wurden, besteht der nächste Schritt häufig darin, eine persönliche Empfehlungen zu geben. Meist fallen personalisierte Ernährungsberatungen in eine Grauzone zwischen Gesundheitsdienstleistungen und Nicht-Gesundheitsdienstleistungen. Deshalb sollte jeder Fall separat bewertet werden. Was wird angeboten? Wer ist beteiligt? Was sind die nationalen Vorschriften? Als einfache Faustregel kann man sagen, dass überall dort, wo medizinisches Fachpersonal an einer Dienstleistung beteiligt ist, die darauf abzielt, die Gesundheit zu „beurteilen, zu erhalten oder wiederherzustellen“, der Dienst als medizinische Leistung betrachtet wird. Ärzt*innen und Krankenschwestern gelten überall in der EU als medizinisches Fachpersonal, aber andere Berufe wie Ernährungswissenschaftler*innen und Ernährungsberater*innen könnten in einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich reguliert sein. Den Status eines Berufs in allen Mitgliedstaaten kann man in der EU-Datenbank für Reglementierte Berufe nachschlagen.


Behauptungen müssen bewiesen werden – die Forschung ist gefragt!

Mittlerweile haben viele Ernährungsexpert*innen, Mediziner*innen und auch Verbraucher*innen das Potential einer personalisierten Herangehensweise erkannt. Personalisierte Ernährung wird derzeit intensiv erforscht, und wir können bald mit Forschungsergebnissen rechnen, die personalisierte Empfehlungen rechtfertigen. Bis dahin befinden sich Anbieter*innen von personalisierten Ernährungskonzepten in einem Marketing-Dilemma. Die wichtigste gesetzliche Anforderung für Marketing besteht darin, die Verbraucher*innen in keiner Weise zu täuschen. Aber was genau ist Verbrauchertäuschung? Wann gibt es genug Beweise? Und was ist, wenn es doch nicht genug war und sich Behauptungen im Nachhinein als nicht ganz korrekt herausstellen?


Lebensmittelkennzeichnung braucht ein personalisiertes Update

Lebensmitteltracking
Photo: Adobestock

Das grundlegende Ziel aller lebensmittelrechtlichen Vorschriften in der EU ist Lebensmittelsicherheit, aber auch Vermarktung und Bewerbung sind streng reguliert. Lebensmittel dürfen nur damit beworben werden, die Gesundheit zu erhalten – nicht, Krankheiten vorzubeugen oder gar zu heilen. Dasselbe gilt auch für personalisierte Lebensmittel.


Interessant sind vor allem die sogenannten „Nährwert- und Gesundheitsbezogenen Angaben“ oder auch „Nutrition and Health Claims“. Nährwertangaben beziehen sich auf den Nährstoffgehalt des Lebensmittels, während gesundheitsbezogene Angaben den Verzehr eines Lebensmittels mit einer positiven gesundheitlichen Wirkung in Verbindung bringen. Es dürfen lediglich zugelassene Angaben aus dem EU-Register für nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben verwendet werden. Alle Einträge in dieser Liste wurden in klinischen Studien streng geprüft und der gesundheitliche Vorteil wissenschaftlich bewiesen.


Gesundheitsbezogene Angaben beziehen sich auf die Durchschnittsbevölkerung oder eine große Teilbevölkerung (wie z.B. Kinder). Im Gegensatz dazu konzentriert sich eine gesundheitsbezogene Angabe in der personalisierten Ernährung auf eine bestimmte Person oder eine kleinere Gruppe von Personen, die sich in bestimmten Merkmalen ähneln. Diese allgemeinen gesundheitsbezogenen Angaben können auf personalisierte Lebensmittel angewendet werden, es können aber darüber hinaus keine weiteren individuellen Angaben gemacht werden. Das macht es sehr schwierig, die Vorteile personalisierter Produkte zu kommunizieren. Je mehr wir über Personalisierung lernen, desto wahrscheinlicher ist es, dass in Zukunft auch Anträge für solche personalisierten Health Claims zugelassen werden. Möglich wären etwa Claims, die sich auf „Massenpersonalisierungen“ berufen, so wie eine Gruppierung nach einer bestimmten genetischen Prädisposition.


Das Interesse an personalisierter Ernährung wächst. Um auch zukünftig dieses Wachstum zu unterstützen, braucht es eine evidenzbasierte und solide Rechtsgrundlage. Fortschritte in der Forschung werden personalisierte Angebote sicherer und besser machen und gleichzeitig den Weg für viele weitere ebnen. Auch in der Politik hat man erkannt, dass personalisierte Ernährung einen wertvollen Beitrag zur Gesundheit der Bevölkerung leisten kann. Mit Personalisierung gibt man den Verbraucher*innen das Wissen und den Mut, ihre Gesundheit selbst in die Hand zu nehmen. Von der EU geförderte Innovationsprogramme wie Food 2030 und Horizon Europe unterstützen die Forschung und bringen Interessengruppen, politische Entscheidungsträger und Vordenkerinnen zusammen, um personalisierte Ernährung für eine erfolgreiche Zukunft fit zu machen.

 

Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von der Ernährungsexpertin Anja Bronnert. Sie hat an der Universität Maastricht an Projekten der Lebensmittelrecht-Expertin Prof. Sabrina Röttger-Wirtz und der Food-Claims-Expertin Alie de Boer teilgenommen und deren Publikation "Personalised Nutrition: The EU’s Fragmented Legal Landscape and the Overlooked Implications of EU Food Law" als Inspiration für diesen Artikel genutzt.


Übrigens: Bis April dreht sich bei uns alles um das Thema "Personalisierte Ernährung" - ein Trend, der Platz zwei in den TOP 10 Ernährungstrends 2021 belegt hat. Wenn du Expert*in in diesem Bereich bist oder etwas zu diesem Thema mit uns teilen möchtest, schreib uns eine Mail an: hello@nutrition-hub.com.


Anja Bonnert
Anja Bonnert

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