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CLEAN MEAT: Fleisch aus dem Labor: Die Zukunft der Ernährung?

Kein Tierleid, keine Schlachthoftransporte, weniger Treibhausgase Es ist eine revolutionäre Idee: "Clean Meat", das Fleisch aus dem Labor. In Anbetracht der aktuellen Debatte um die fragwürdigen Zustände für Mensch und Tier in der Fleischindustrie, lässt der Gedanke an eine Zukunft ohne Massentierhaltung und Schlachthöfe Hoffnung schöpfen. Was steckt hinter dem Begriff "Clean Meat" und ist Fleisch aus dem Reagenzglas die Zukunft unserer Ernährung? Roxanna Rokosa sprach dazu mit der Autorin Nadine Filko, die in ihrem Buch Clean Meat - Fleisch aus dem Labor: Die Zukunft der Ernährung? mit Experteninterviews und fundierten Analysen die Bedeutung von Fleisch für die Entwicklung des Menschen untersucht, die Auswirkungen des Massenkonsums auf Umwelt und Tierwohl betrachtet und die Alternativen vorstellt. Dabei wirft sie den Blick auf Wissenschaft, Wirtschaft und Politik bis hin zu den LandwirtInnen und stellt die entscheidende Frage: Sind KonsumentInnen schon bereit für den Umstieg auf Clean Meat?

Buchautorin Nadine Filko mit ihrem Buch: Clean Meat
Buchautorin Nadine Filko: "Ich bin eine leidenschaftliche Fleischesserin – wenn auch mit schlechtem Gewissen."

Dein Buch trägt den Titel „Clean Meat“ - was versteckt sich hinter diesem Begriff?

'Clean Meat' war lange Zeit die bevorzugte Bezeichnung der Szene für das heute mehrheitlich als 'Cultured Meat' diskutierte Fleisch. Und initial ging es mir genau darum, um das Produkt 'Clean Meat'. Tatsächlich aber könnte der Begriff langfristig für viel mehr stehen als kultiviertes Fleisch. Es könnte die Bezeichnung eines neuen Systems sein, das sich aus veganer, bio- und zellbasierter Ernährung zusammensetzt. Der Mensch räumt derzeit ernährungstechnisch auf und um. Er schafft eine neue Protein-Produktion. Wir sehen also Bewegung in einer Industrie, die lange stillstand. Diese Bewegung könnte irgendwann als Clean-Meat-Bewegung bezeichnet werden.


Wie ist die Idee zu deinem Buch entstanden?

Ich bin 2017 als Redakteurin eines Startup-Magazins auf das Thema aufmerksam geworden. 'Clean Meat' und die Implikationen für unsere Ernährung ließen mich seither nicht mehr los. Mein familiärer Background ist zudem gastronomisch geprägt und ich bin eine leidenschaftliche Fleischesserin – wenn auch mit schlechtem Gewissen. Ich wollte wissen, wie viel revolutionäres Potenzial tatsächlich in der Idee steckt. Es fasziniert mich, wie eine Idee so einschneidende Veränderungen für den Menschen bedeuten kann. Initial sollte es dabei nur um 'Clean Meat' gehen. Im Laufe meiner Recherchen ist der Fokus dann aber auf die größere Cellular Agriculture und die Potenziale komplementärer Produkte gerückt, deshalb auch die Betrachtung der vegetarischen und veganen Bewegung.


Welche Argumente sprechen für 'Clean Meat'? Welche Aspekte siehst du kritisch?

Das Feld insgesamt ist noch sehr jung, weshalb die ökologischen Vorteile, die bisher in Studien aufgezeigt und immer wieder revidiert werden mussten, nur mit Vorsicht zu genießen sind. Zwei Vorteile aber lassen sich nicht von der Hand weisen. Das ist zum einen der Schutz der Tiere. Denn wir sehen einen ganz klaren Sieger: das Tier. Es wird nicht mehr geschlachtet. Zudem wird die Art wie wir Fleisch produzieren durch Kultivierung unserem Konsum gerecht – sie ist ein Stück weit entkoppelt vom eigentlichen Tier. Zum anderen zeichnet sich ein Wandel der Landnutzung ab. Sei es für die Tiere oder den Futteranbau. Diese Flächen würden nicht mehr benötigt und könnten anderen Zwecken zugeführt werden. Daran hängt eine ganze Kette umweltbelastender Prozesse. Echte Kritik kann ich derzeit nur im Kontext der Verwendung von Kälberserum aussprechen und das sollte es – schenkt man der Szene Glauben – nicht ins Regal schaffen. Es widerspricht ihren Idealen. Was mich bei dem Thema viel mehr umtreibt, sind die vielen blinden Flecken. Es gibt wie bei vielen anderen transformierenden Technologien auch zu viele Unbekannte in der Gleichung um die Auswirkungen. Dazu zählt mit Sicherheit auch die Rolle der Bauern. Zu der Begeisterung um die Potenziale muss sich also ein kühler Kopf gesellen, der diese blinden Flecken im Auge behält.


"Wir stehen am Anfang eines langen Weges der Akzeptanz. Es wird nicht einfach aber welcher revolutionäre Akt ist das schon."

- Nadine Filko


In deinem Buch kommen junge und ältere UnternehmerInnen, AgrarexpertInnen, ErnährungswissenschaftlerInnen, AktivistInnen und MarktforscherInnen zu Wort. Auf welcher Basis hast du deine GesprächspartnerInnen ausgewählt?

Ich will die LeserInnen auf eine Reise mitnehmen, die sie nicht zu sehr ins Detail einer Wissenschaft einführt, sondern in der Breite der Thematik abholt. Deshalb die Vielzahl der ExpertInnen und Blickwinkel. Dabei war es mir wichtig, dass nicht nur Personen, die den Bereich positiv oder negativ betrachten, zu Wort kommen. Ernährung und Fleischkonsum sind nicht schwarz oder weiß. Die Unterschiedlichkeit der Professionen hilft dem Leser, sich ein umfassendes Bild eines facettenreichen Systems zu malen, das die diversesten Bereiche unserer Leben berührt. So soll es den LeserInnen leichter gemacht werden, am Ende zu entscheiden, ob 'Clean Meat' und das System, in das es eingebettet ist, eine Chance hat zu überleben. Wandel oder Wahnsinn? Die ExpertInnen sollen dabei helfen, diese Entscheidung zu treffen.


Hat 'Clean Meat' deiner Meinung nach das Potential, zu verändern wie Fleisch heute gegessen wird? Werden VerbraucherInnen Clean Meat akzeptieren?

VerbraucherInnen werden kultiviertes Fleisch akzeptieren. Sie akzeptieren auch, dass Tiere gequält werden, damit sie ihr Steak essen können. Ergo: Die Produktion tritt in den Hintergrund, das Verlangen steht im Fokus. Das, was ich im Supermarkt kaufe, ist ein Steak und kein Stück von einem Rind. Es ist ein Würstchen und nicht die Eingeweide eines Schweins. Durch 'Clean Meat' haben wir endlich die Chance, Fleisch als das zu konsumieren, als was wir es betrachten. Dabei stehen wir am Anfang eines langen Weges der Akzeptanz. Die Probleme mit dem Serum müssen endgültig ad Acta gelegt werden, die Angst und das Misstrauen gegenüber einem scheinbar „unnatürlichen“ Produkt muss überwunden werden und vieles mehr. Da sind wir auch wieder bei den blinden Flecken. Es wird nicht einfach aber welcher revolutionäre Akt ist das schon. Veränderung ist schwer zu akzeptieren und das Thema Ernährung dringt bis in die Küchen der VerbraucherInnen vor. Es ist emotional aufgeladen, kulturell verankert und privat. Zwischen den Zeilen der neuen Proteine steht zudem der Vorwurf, dass wir es bisher nicht richtig gemacht haben. Und zwar nicht die Industrie, auf die wir unser schlechtes Gewissen gerne abwälzen, sondern wir als Gesellschaft – das hört keiner gern.


Mit Blick auf die aktuelle Debatte in der Fleischindustrie: Stetig steigender Fleischkonsum, Massentierhaltung, Tiertransporte… Ist 'Clean Meat' eine zukunftsträchtige Alternative oder wird die Zukunft fleischfrei sein?

Eine fleischfreie Zukunft sehe ich nicht. Der Mensch liebt sein Fleisch. Das Grillsteak oder der Sonntagsbraten sind viel mehr als nur das Zuführen bloßer Kalorien. Essen ist Leidenschaft. Wir zelebrieren den Geschmack, gehen in ihm auf. Für viele Menschen ist zudem ein Gericht erst dann ein Gericht, wenn das Stück Fleisch dabei ist. Eine Mahlzeit wird oft um das Fleisch herum geplant. Fleisch ist etwas Luxus. Es bedeutet Wohlstand – auch heute noch im Zeitalter billigster Waren. Freiwillig will auch ich nicht auf ein schönes Steak, medium rare gebraten, verzichten. Dann bitte aus dem Labor, ohne Tierleid, mit gutem Gewissen und noch mehr Genuss.


"ErnährungsexpertInnen spielen hier eine zentrale Rolle in der Vermittlung von Wissen. Sie können die KonsumentInnen in eine Welt einladen, die weg vom Verzicht geht und hin zum gesunden Genuss." - Nadine Filko


Wo siehst du die Aufgaben der ErnährungsexpertInnen in der Gestaltung der zukünftigen Ernährung?

Die Kommunikation muss ins positive umgekehrt werden. Wir müssen insgesamt weniger darüber reden, was schlecht ist und mehr darüber, was gut für uns ist. ErnährungsexpertInnen spielen hier eine zentrale Rolle in der Vermittlung von Wissen. Sie können die KonsumentInnen in eine Welt einladen, die weg vom Verzicht geht und hin zum gesunden Genuss. Das steht auch in Verbindung mit einer weiteren potenziellen positiven Auswirkung von 'Clean Meat'. Es könnte in seiner Zusammensetzung, geht es beispielsweise um das Fett, gesünder sein als Fleisch es bisher ist. Denn einzelne Komponenten lassen sich modifizieren. Lasst uns also darüber reden, was wir tun können und nicht mehr darüber, dass wir ein Problem haben. Das sollte das Gros der Menschen mittlerweile wissen. Und wenn dann alle geredet haben, wird es endlich Zeit, sich die Hände auch dreckig zu machen und anzupacken.


Wer mehr über Nadine Filko und ihr Buch Clean Meat - Fleisch aus dem Labor: Die Zukunft der Ernährung? erfahren möchte, kann sich auf LinkedIn mit ihr vernetzen.

 

Dieses Interview wurde geführt von Roxanna Rokosa,

Kommunikationsexpertin und angehende Ernährungswissenschaftlerin, die seit knapp zehn Jahren auf Fleisch verzichtet.

Roxanna Rokosa, Head of Communications bei Nutrition Hub

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