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#bowl - oder wie eine Schüssel zum Instagram-Hype wurde

von Markus Schreckhaas


Früher war alles so herrlich einfach mit der Esskultur. Es war eigentlich immer irgendwie klar, was, wann und mit wem gegessen wurde. Wenn es denn überhaupt etwas zu essen gab. Denn 500.000 Jahre Ernährungsgeschichte lassen sich auch problemlos als Geschichte des Mangels, Hungers und der leeren Töpfe interpretieren.

Sind es doch erst die jungsteinzeitliche Agrarrevolution vor 10.000 Jahren und die wirtschaftliche Prosperität der Antike, die allmählich alimentäre Handlungsspielräume gewährten, folglich regelmäßiger die Töpfe füllten und vorsichtig auf Protoausdifferenzierungen von Esskulturen verweisen, die später zu den „feinen Unterschieden“ und dem „richtigen“ Essen führen sollten: Die Tischetikette fand ihren Weg in die kulinarische Welt, um Peinlichkeiten und soziale Sanktionen zu vermeiden, Zugehörigkeit zu dokumentieren und der eigenen Identität gewahr zu werden.

Das alles hat auf Funktionsebene heute noch Gültigkeit. So haben wir auch gelernt, dass sich nicht nur die Auswahl unserer Speisen hervorragend dazu eignet, um sich von anderen sozialen Gruppen abzugrenzen und hervorzuheben, sondern auch die Art und Weise, wie diese Speisen gegessen werden. Essgeschirr und Essbesteck, das richtige Werkzeug und Instrumentarium wirkten lange Zeit ebenso distinguierend wie die stoffliche Zusammensetzung einer Mahlzeit. Deshalb ist es wohl kaum verwunderlich, dass jene volkskundliche Karte aus der Feder Günter Wiegelmanns zu den bekanntesten gehört, die abbildet, in welchen Regionen des Deutschen Reiches des Jahres 1935 noch alltäglich aus (gemeinsamen) Schüsseln gegessen wurde.


Essen aus der gemeinsamen Schüssel 1935
Essen aus der gemeinsamen Schüssel 1935

So traf dies im Besonderen für weite Teile Österreichs, Oberbayerns und Oberpfalz, den südlichen Bergregionen Sachsens, des Schwarzwaldes, der Eifel, des Odenwaldes, Ostfrieslands und der Lausitz zu. Randständige Regionen also, die zudem stärker landwirtschaftlich geprägt waren. Ein entsprechender Verweis deutet zudem beispielhaft an, dass „Gesinde“, Arbeiter und kleinere Haushalte aus Schüsseln aßen. Spiegelt man dies wiederum am sozialen Gefüge der damaligen Gesellschaft, lässt sich sagen: Das Essen aus einer Schüssel stand symbolisch lange Zeit für die einfache und oftmals prekäre Tafel. Ehrlich und egalitär wohlmöglich, aber in der Summe doch eher nicht erstrebenswert.


Rund drei Generationen später – nämlich heute – beobachten wir hingegen, dass sich hier eine kulturelle 180-Grad-Wendung innerhalb kürzester Zeit vollzogen hat und das Essen aus der Schüssel den Nimbus der zivilisatorischen Prozessresistenz vollkommen abgestreift und sogar ins Gegenteilige umgekehrt hat. Die Schüssel heißt heute nicht mehr Schüssel, sondern Bowl. Und aus ihr wird nun auch nicht mehr nur Müsli zum Frühstück gegessen, sondern komplette, vollwertige Mahlzeiten. Alleine die Tatsache, dass heute jeder aus seiner eigenen Schüssel essen darf unterscheidet das Objekt strukturell von seinen Vorläufern. Wie konnte das passieren?


Erstens: Unsere Ernährungslandschaft war seit den 1980er Jahren immer komplizierter geworden. Ständig neue Essregeln, Foodtrends, Nouvelle Cuisine, Molekularküche, Convenience Food und die dazugehörigen Skandalisierungen. Diese unordentliche, unübersichtliche Gemengelage rief förmlich nach einem kleinsten gemeinsamen esskulturellen Nenner, dem etwas Ordnendes und gleichsam Einfaches innewohnt: Die Bowl!


Zweitens: Die Internationalisierung unserer globalisierten Esskultur hat gezeigt: Jeder versteht auf Anhieb die kulinarische Grammatik der Schüssel. Buddha-Bowl (immer mit Avocado, kleingeschnitten und gut sichtbar trapiert) für die Gesundheits-Lifestyler, Power-Bowl mit Superfoods für die Leistungsträger nach der Yoga-Stunde, hawaiianische Poké-Bowl für die Fortgeschrittenen. Gleichzeitig liegen japanische Ramen, das koreanische Bibimbap oder kanadische Poutine (alles wird aus Schüsseln gegessen) nicht rein zufällig im Trend.

Und drittens: Nichts lässt sich ästhetisch so einfach aufbereiten, wie der kulinarische Kosmos, der in eine Schüssel passt. Nichts ist momentan so instagramable. Die Bowl ist ja quasi zur eigenen Kategorie in der Welt des Food Porn geworden.

Die Schüssel ist also in der kulinarischen Landschaft kurzgesagt deshalb wieder so erfolgreich, weil sie vielseitig einsetzbar ist, weil sie von allen verstanden wird und auch noch gut aussieht. Ein kulturelles Objekt, das diese Entsprechungen aufweist, kann beim intimen Akt des Essens gar nicht scheitern.

Markus Schreckhaas erforscht an der Uni Regensburg menschliches Ernährungsverhalten aus kulturwissenschaftlicher Perspektive. Dabei hat er einen besonderen Blick auf Food-Trends, die Zukunft der Ernährung sowie moderne Ernährungskommunikation. Als @foodiefunnel kommentiert er gelegentlich augenzwinkernd auf Twitter unsere bunte Ernährungswelt. Dieser Blogbeitrag wird im Dezember 2018 zusätzlich im gastrosophischen Online-Magazin „Epikur“ (http://www.gastrosophie.at/de/epikur/index.asp) erscheinen.

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